Bis auf den letzten Platz gefüllt war das Foyer der der Stadthalle Falkensee am 11. Oktober. Über 80 Falkenseer Bürger waren der Einladung der überparteilichen Europa-Union Deutschland mit ihrem Kreisverband Havelland gefolgt und diskutierten ihre Fragen und Meinungen zu Europa mit Expertinnen und Experten aus Brandenburg, Berlin und Brüssel. Die Themen reichten vom Brexit, Reisefreiheit und Fachkräftemangel bis hin zu gesellschaftlicher Teilhabe, steigenden Mieten und öffentlichem Wohnraum. Da der Bürgerdialog in Gebärdensprache übersetzt wurde, beteiligten sich auch gehörlose Menschen.
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Im Publikum waren viele überzeugte Europäer, die sich Gedanken über die Zukunft der EU machen. Man war sich einig, dass die gemeinsamen Werte die wichtigste Grundlage der EU seien. „Wir glauben an eine Welt, in der die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren zählt“, sagte Richard Kühnel, höchster Vertreter der EU-Kommission in Deutschland, und erhielt dafür viel Applaus. Sorge bereitete dem Publikum der Brexit und die Tatsache, dass sich einige EU-Länder nicht mehr an die gemeinsamen Regeln hielten. Eine der wichtigsten Säulen der europäischen Grundwerte sei die Unabhängigkeit der Justiz, sagte die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann. Daher habe das Europaparlament seit dem Regierungswechsel in Polen die politische Einflussnahme auf Rechtsprechung kritisiert. In Ungarn gebe es inzwischen sogar ein so hohes Maß an Verletzung von Grundwerten, dass das Europaparlament vorgeschlagen hat, einen Sanktionsmechanismus einzuleiten.
„Wir müssen alles dafür tun, dass das europäische Projekt nicht von den Nationalisten und Populisten untergraben wird“, sagte der Kreisvorsitzende der Europa-Union Havelland Hans-Peter Pohl. „Zweidrittel der Bevölkerung stehen der EU positiv gegenüber“, unterstich Pohl. Diese gelte es zu mobilisieren und zu motivieren, an der Europawahl 2019 teilzunehmen. Auch die Blitzabstimmungen im Publikum zeigten, dass sich die große Mehrheit viel mehr gemeinsames Handeln aller EU-Staaten wünscht oder zumindest derjenigen Mitgliedstaaten, die enger zusammenarbeiten wollen. Dieser Trend verstärkte sich im Laufe des Abends.
In der Diskussion gabt es viele Beispiele, die zeigten, dass die EU bei denjenigen Themen erfolgreich ist, wo sie mit einer Stimme spricht. In der Handelspolitik sei dies der Fall, in der Außenpolitik jedoch nicht. Auch in der Frage nach dem Ausstieg aus der Kernenergie, die eine Teilnehmerin aufwarf, lägen die Positionen zwischen den EU-Staaten zu weit auseinander.
Wie die Zusammenarbeit im Europäischen Rat und im Ministerrat funktioniert, erklärte Kim-Mailin Weinrich vom Auswärtigen Amt. In Deutschland liege die Koordinierung der Europapolitik der Bundesregierung beim Auswärtigen Amt. Dessen Europaabteilung bereite die Ratstreffen vor und arbeite die deutsche Position aus, die dann im Rat vertreten werde.
Frank Havemann von den Karls Erlebnisdörfern erklärte, wie stark die Landwirtschaft in Brandenburg auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sei. Er wünscht sich, dass die Bundesregierung mit der Ukraine Vereinbarungen zur Freizügigkeit vereinbare, um von dort qualifizierte Mitarbeiter z.B. für die Erdbeerernte zu gewinnen.
Die Landtagsabgeordnete Barbara Richstein gab zu bedenken, dass die Abwerbung von Fachkräften die Herkunftsländer vor Probleme stelle. Von den Auswirkungen des „Braindrain“ habe sich ihr Landtagsausschuss vor kurzem auf einer Rumänien-Reise ein Bild gemacht.
Steigende Mieten und knapper Wohnraum beschäftigten das Publikum ebenfalls. „Es ist dringend erforderlich, dass die öffentliche Hand den Wohnungsbau übernimmt“, sagte Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Wenn Staaten sparen müssten, würden sie allerdings oft in diesem Bereich auf Investitionen verzichten. Deshalb schlägt sie vor, im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt die Regel einzuführen, dass Investitionen für Wohnungsbau darin nicht berücksichtigt werden.
Die lebhafte Debatte zeigte, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinungen und Erwartungen einbringen wollten. Gerade die EU biete dazu viel Gelegenheit, lobte Barbara Richstein. „Über Online-Konsultationen ermöglicht es die Europäische Kommission den Bürgerinnen und Bürgern mitzumachen“, erklärte die Abgeordnete.
Um möglichst vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern Gelegenheit zu geben, sich zu Wort zu melden, wurden zwei parallellaufende Themenräume angeboten. Den Themenraum "Wirtschaft und Soziales" moderierte Mareen Hirschnitz von der Europäischen Bewegung Deutschland. Die Diskussion im Themenraum "Europas Rolle in der Welt" leitete Mechthild Baumann, stellvertretende Vorsitzende der Europa-Union Havelland.
In die Debatte brachten sich auch viele jungen Menschen aus dem Publikum ein. So schlug eine Schülerin vor, eine europäische Verfassung zu schaffen. Ein anderer Jugendlicher, der einen europäischen Freiwilligendienst in Großbritannien machen möchte, befürchtet, dass der Brexit ihm einen Strich durch die Rechnung macht. Deshalb war es auch passend, dass beim Bürgerdialog die Jugend „das letzte Wort“ hatte. „Meine Generation ist die, die am längsten mit den Entscheidungen von heute leben muss“, betonte Sebastian Hanika von der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg in seinem Schlusswort. Er lud die Jugendlichen dazu ein, sich für Europa zu engagieren und zu den nächsten Treffen der JEB-Gruppe in Potsdam zu kommen. Auch für das Havelland sei die Gründung einer Gruppe des Jugendverbandes geplant, sagte Hans-Peter Pohl an dem Abend. Der Kreisvorsitzende der Europa-Union Havelland konnte an dem Abend das 63. Mitglied gewinnen.
Im Anschluss an den Bürgerdialog gab es bei einem Imbiss, den die Schülerfirma des örtlichen Gymnasiums vorbereitet hatte, ausgiebig Gelegenheit, die Themen der Diskussion weiter zu vertiefen.
Veranstaltet wurde der Bürgerdialog in Falkensee von der Europa-Union Deutschland in Zusammenarbeit mit der Europa-Union Brandenburg, der Europa-Union Havelland und der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg.
Foto: EUD / Frieder Unselt