Zum Bergfest der bundesweiten Bürgerdialogreihe „Und jetzt, Europa? Wir müssen reden!“ machte die Europa-Union am 30. August 2018 Station in der Stiftung Händel-Haus in Halle an der Saale. Im Geburtshaus des berühmten Barockkomponisten und Europäers Georg Friedrich Händel diskutierten rund 100 Teilnehmende mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Ein Fazit des Abends lautete: Bei der Europawahl im Mai 2019 Europa mit(be)stimmen!
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„Europa steht unter Druck und ist kein Selbstläufer mehr“, eröffnete Linn Selle, Mitglied im Präsidium der Europa-Union Deutschland, den Bürgerdialog zur Zukunft Europas in Halle. Mit Blick auf die kommende Europawahl sei es daher umso wichtiger, „Farbe zu bekennen für proeuropäische Positionen“, so Selle. Dabei gelte es aber auch, bestehende Probleme gemeinsam zu diskutieren und zur Sprache zu bringen, was in Europa noch nicht gut laufe. In diesem Geiste lud Selle die Hallenserinnen und Hallenser ein, den Bürgerdialog zu einem offenen Austausch von Meinungen und Perspektiven zu nutzen.
Bevor die Teilnehmenden des Bürgerdialogs in zwei Themenräumen mit Politikern und Experten diskutierten, stand Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, in einem einführenden Gespräch Rede und Antwort. Kühnel betonte, dass Europa in der Saalestadt eine wichtige Rolle spiele und im Alltag der Menschen durchaus präsent sei. Viele Studierende der Universitätsstadt würden vom Erasmus-Programm der EU profitieren, die Landwirte der Region bekämen Fördermittel aus den europäischen Haushaltstöpfen und auch das Kunstmuseum Moritzburg habe Gelder aus Brüssel erhalten. Doch viel wichtiger, so Kühnel: „Der Frieden, die Stabilität und der Wohlstand, in dem wir heute in Europa leben, kann mit Geld gar nicht aufgewogen werden.“
Eine interaktive Umfrage im Publikum zeigte, die Mehrheit der Teilnehmenden war sich einig: Europa ist in Halle sichtbar. Viele Bürgerinnen und Bürger sahen aber auch Nachholbedarf, wenn es darum geht, den Menschen Europa näher zu bringen. Dies sei mit Blick auf die Beteiligung an der Europawahl 2019 besonders wichtig, hob Kühnel hervor. Er machte deutlich, dass die Europawahl über eine wesentliche Richtungsfrage entscheide: „Wollen wir Europa schwächen und aus politischen Fragen rausnehmen, die unser Leben und unseren Alltag bestimmen – oder wollen wir Europa stärken?“ Die Europäische Kommission, so Kühnel, wünsche sich ein Votum für ein gemeinsames Voranschreiten aller verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten in Richtung vertiefter europäischer Integration.
Im anschließenden Dialog im Themenraum zu Europas Rolle in der Welt ergriffen die Hallenserinnen und Hallenser das Wort. Sie diskutierten beispielsweise über den Brexit, Migration, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die gemeinsamen Werte wie Demokratie und Rechtstaatlichkeit, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungen in Polen oder Ungarn. Valerio Morelli, Referent in der Europaabteilung des Auswärtigen Amtes, stellte klar: „Wenn wir von Rechtsstaatlichkeit sprechen, können wir keine Kompromisse eingehen.“ Dies sei wichtig für die Verlässlichkeit der EU-Mitgliedsstaaten untereinander, aber auch für die Glaubwürdigkeit der EU nach außen.
Der Europaabgeordnete Arne Lietz teilte die Entrüstung einer Teilnehmerin darüber, dass der EU-Marineeinsatz „Sophia“, durch den im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot gerettet werden sollen, aktuell vor dem Aus stünde und private Initiativen kriminalisiert würden. „Bei der Seenotrettung versagt Europa skandalös“, so Lietz. Hier müsse dringend Abhilfe geschaffen werden.
Im zweiten Themenraum waren Fragen aus den Bereichen Wirtschaft und Soziales Gegenstand der Diskussion. Die Bürgerinnen und Bürger setzten die Entbürokratisierung der EU auf die Agenda, ebenso wie Bildung, Digitales, den EU-Emissionshandel oder die Vergleichbarkeit und die Akzeptanz von Berufsabschlüssen in Europa.
Linn Selle, politische Referentin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, erläuterte, dass europäische Regulierung häufig zu vorschnell mit einem Übermaß an Bürokratie assoziiert werde. Tatsächlich sei eine gemeinsame Regulierung in vielen Bereichen für die Verbraucher grundlegend und von der EU stark vorangebracht worden.
Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin der Nordostchemie-Verbände, betonte die Bedeutung des europäischen Binnenmarktes: „Gerade in der Chemie-Branche wären viele Produktionsabläufe ohne den grenzüberschreitenden freien Handel in der EU nicht möglich.“ Auch sei eine europaweite Vergleichbarkeit von Abschlüssen wichtig, um dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken.
Kontrovers diskutiert wurde auch die Frage einer stärkeren europäischen Regulierung im Bereich der Sozialpolitik. Während sich breite Teile des Publikums hier eine stärkere Initiative der EU und gemeinsame Regeln wünschten, stellte der Bundestagsabgeordnete Frank Sitta seine Position klar: „Es ist nicht die Aufgabe der EU, Sozialstandards europaweit festzulegen.“ Die Unabhängigkeit und Autonomie der Mitgliedsstaaten in sozialpolitischen Fragen sei ihm wichtig, so Sitta.
In seinem Schlusswort bedankte sich Thomas Rieke, Landesvorsitzender der Europa-Union Sachsen-Anhalt, bei den Mitwirkenden und dem Publikum für den offen und lebhaft geführten Dialog und lud sie ein, sich auch über den Bürgerdialog hinaus sich für Europa zu engagieren. Christian Scharf, Leiter des EUROPE DIRECT Sachsen-Anhalt / Halle machte die Hallenserinnen und Hallenser zum Abschluss des Bürgerdialogs auf das umfangreiche Angebot des im Frühjahr 2018 eröffneten Informationszentrums aufmerksam.
Moderiert wurde der Bürgerdialog von Vera Wolfskämpf, freie Journalistin bei ARD und MDR, und Torsten Rößler, Landesstudioleiter des radio SAW in Halle.
Der Bürgerdialog in Halle (Saale) wurde in Zusammenarbeit mit dem EUROPE DIRECT Informationszentrum Sachsen-Anhalt / Halle, der Europa-Union Sachsen-Anhalt mit ihrem Kreisverband Halle und den Jungen Europäischen Föderalisten Halle durchgeführt.
Foto: Gerolf Mosemann