Sprachen in Europa: Kommunikation - Partizipation - Identität

Beschluss des Bundeskongresses vom 22.11.2008 (PDF-Datei)

Die Europäische Union ist der Zusammenschluss von 27 Staaten, in denen 23 Nationalsprachen gesprochen werden. Dies ist Ausdruck der kulturellen Vielfalt Europas. Sie ist Teil der europäischen Identität. Zu dieser Identität zählen auch die vielen Regionalsprachen in Europa.
Gleichzeitig ist für das Zusammenwachsen Europas das Gespräch über die Sprachgrenzen hinaus erforderlich. Die Bürger Europas müssen sich verstehen können, damit sie sich verständigen können. Europa braucht Kommunikation.
Das politische Europa bedarf der Teilhabe seiner Bürger. Dies setzt den sprachlichen Zugang zur Diskussion und den Ergebnissen europäischer Politik voraus. Die Unionsbürgerschaft verlangt Partizipation.

1. Sprache beginnt mit der Pflege der eigenen Muttersprache
Die Sprachenvielfalt in Europa ist ein großes Kulturgut. Sie zu beseitigen, hieße einen Grundpfeiler der europäischen Einigung in Frage zu stellen. Daher kann die Vielfalt nur durch die Vielsprachigkeit seiner Bürger ergänzt und im positiven Sinn kompensiert werden.
Die Bürger Europas sind aufgerufen, andere europäische Sprachen einschließlich der ihrer Nachbarn zu lernen. Dies ist insbesondere ein Auftrag an das Bildungswesen.
Das Beherrschen der eigenen Sprache ist eine Vorbedingung, fremde Sprachen erlernen zu können. Das Erlernen fremder Sprachen setzt voraus, dass auch die eigene Muttersprache in Wort und Schrift gepflegt und als Kulturgut begriffen wird.
Daher steht am Anfang der Aufruf an alle Menschen, die öffentlich mit der deutschen Sprache in Politik, Verwaltung und insbesondere in den Medien umgehen, diese sorgsam und vorbildlich zu verwenden.

2. Sprachenlernen ist eine persönliche Chance
Das Lernen fremder Sprachen setzt die persönliche Bereitschaft des Lernenden voraus. Ohne den eigenen Willen und das individuelle Interesse kann ein Erfolg nicht eintreten. Sprachenlernen ist eine persönliche Chance, die über potentielle ökonomische Vorteile hinaus ein besseres Verstehen der Lebensumwelt eröffnet. Die Fähigkeit, Fremdsprachen zu sprechen und zu verstehen, gehört zur Bildung.
Daher ist das Erlernen von Fremdsprachen zwar eine wichtige staatliche bzw. schulische Aufgabe, es kann aber nicht darauf beschränkt bleiben. Fremdsprachenlernen ist auch durch Eigeninitiative möglich. Noch nie gab es so vielfältige Möglichkeiten, sich durch technische Hilfen das Sprachenlernen zu erleichtern (CD-Kurse, CD-Rom-Kurse, mp3-Kurse, elektronische Wörterbücher, Radio, Internet usw.). Wir rufen alle Verantwortlichen in den privaten Firmen und in der öffentlichen Verwaltung auf, diejenigen Beschäftigten, die sich durch Fremdsprachenkenntnisse qualifiziert haben, auch beruflich anzuerkennen.
Mitarbeiter mit Fremdsprachenkenntnissen erweitern die Kommunikationsmöglichkeiten. In der europäisierten und sich globalisierenden Welt sind solche Mitarbeiter ein Standortvorteil.

3. Auch das öffentliche und private Bildungswesen müssen ein vielfältiges Sprachenangebot bereithalten
Bei der individuellen Entscheidung für das Erlernen einen Fremdsprache steht es jedem frei, sich für eine Sprache eigener Wahl zu entscheiden. Dem gegenüber müssen das öffentliche und private Bildungs- und insbesondere das Schulwesen einen Mindestauftrag erfüllen.
Doch auch hier kann es nicht ein bundesweites „Entweder-Oder“ bzw. ein „Nur“ mit dem Ergebnis eines standardisierten Mindestkanons geben.
Zur Bestimmung des Angebots müssen verschiedene Überlegungen zum Ausdruck kommen. Hierzu können folgende Kriterien herangezogen werden:
- Verbreitung (Englisch, Französisch, Spanisch),
- Nachbarschaft (Französisch, Dänisch, Polnisch, Tschechisch),
- Schwerpunkt (alte Sprachen, Bilinguale Schulen),
- Integration (Türkisch, Vietnamesisch),
- muttersprachlicher Unterricht für Migranten (Russisch),
- Wahlkurse/Wahlbereiche (Chinesisch, Japanisch, Esperanto).
Die Entscheidung für nur eine Fremdsprache unter Vernachlässigung aller anderen stellt letztlich eine Kapitulation vor der Vielfalt dar und bedeutet eine falsche Einengung. Für das Lernen von Sprachen gilt, dass ein früher Beginn einen besseren Zugang ermöglicht und dass man Fremdsprachenlernen selber lernen kann. Dem Autodidakten steht heute eine breite Palette von Medien zur Verfügung. Wer bereits mehrere Sprachen beherrscht, lernt eine weitere Fremdsprache wesentlich leichter.
Fremdsprachen bedürfen der Pflege. Fremdsprachliche Kompetenz geht verloren, wenn sie nicht immer wieder aktiv und passiv gefordert wird. Sie sind ein Beispiel für die Notwendigkeit und den Anreiz, lebenslang zu lernen.

4. Die Einführung einer Nationalsprache als Amtssprache der Europäischen Union widerspräche dem Grundsatz der kulturellen Vielfalt Sollte eine der bestehenden Nationalsprachen, etwa Englisch, zur Amtssprache der Europäischen Union bestimmt werden, wären die Muttersprachler dieser betreffenden Sprache bevorzugt, alle anderen Nationalitäten aber zurückgesetzt und benachteiligt. Dies widerspräche dem Grundsatz der kulturellen Vielfalt. Ein solcher Schritt würde eher zur Desintegration als zur Integration beitragen.
Hinzu kommt, dass schon auf Grund der politischen Partizipation alle schriftlichen Dokumente der Europäischen Union jedem Unionsbürger in seiner Nationalsprache zugänglich sein müssen. Auch muss es statthaft sein, dass sich jeder Unionsbürger vor den Organen der EU in seiner Sprache äußern kann und auch gehört wird.
Wie letztlich zwischen verschiedenen Muttersprachlern kommuniziert wird, muss der individuellen Entscheidung überlassen bleiben. Insoweit herrscht ein freies Spiel der Kräfte.
Die extensive und gedankenlose Verwendung englischer Begriffe zumindest hat weder der englischen Sprache noch der eigenen Muttersprache einen Dienst erwiesen.
So ist es richtig, dass innerhalb der Europäischen Union die Mehrsprachigkeit der Unionsbürger ein anzustrebendes Ziel bleibt.

5. Innerhalb der Gremien der Europäischen Union sind Englisch, Französisch und Deutsch als Arbeitssprachen anzuwenden
Der Grundsatz, dass jede Sprache eines Mitgliedslandes gleichberechtigt ist und verwandt werden darf, schafft praktische Probleme in den Arbeitsprozessen der Europäischen Union. Aus Gründen der Effektivität muss es statthaft sein, sich dabei auf Arbeitssprachen zu konzentrieren.
Als Arbeitssprachen der Europäischen Union sind Englisch, Französisch und Deutsch zu verwenden. Diese drei Sprachen sind unter Berücksichtigung der von den Bürgern gesprochenen Muttersprachen und den erlernten Fremdsprachen in der Europäischen Union am stärksten verbreitet.

6. Die Bürger Europas müssen ihre Verkehrssprache frei wählen
Neben den Nationalsprachen, die für alle Bürgerinnen und Bürger auch Amtssprache im Kontakt mit den europäischen Institutionen sein müssen, und den Arbeitssprachen, die innerhalb der Gremien verwandt werden, gibt es eine oder mehrere Verkehrssprachen, welche die Bürger unterschiedlicher Nationalsprache untereinander zur Verständigung benutzen.
Welche Sprache die Bürger dabei als Verkehrssprache wählen, lässt sich nicht vorschreiben. Die Verkehrssprache kann dabei auch je nach Region unterschiedlich sein.
Derzeit spricht vieles dafür, dass sich Englisch zur vorherrschenden Verkehrssprache innerhalb der Europäischen Union entwickeln wird. Dies unterliegt letztlich dem freien Spiel der Kräfte.

7. Die europäische Öffentlichkeit braucht Sprache
Die Europäische Union leidet darunter, dass es an einer europäischen Öffentlichkeit fehlt. Bislang werden die Vorgänge innerhalb der Europäischen Union nur aus nationaler Sicht berichtet und interpretiert. Ein wesentlicher Faktor dafür, dass Europa in verschiedene nationale Öffentlichkeiten zerfällt, ist das Vorhandensein sprachlicher Barrieren.
Diesem Zustand muss durch die Schaffung einer europäischen Medienlandschaft entgegen gewirkt werden. Es fehlt an europäischen Medien. Gegenüber den Printmedien und dem Rundfunk bietet sich vor allem das Fernsehen als Medium an. Der deutsch-französische Kulturkanal Arte stellt hier eine positives Beispiel dar.
Nach diesem Vorbild ist ein europäisches Fernsehen einzurichten, das die Bürger Europas aus europäischer Sicht informiert. Dieses Programm sollte auch genutzt werden können, um Sprachen in Kursen zu erlernen. Darüber hinaus könnten hier europäische Film in Originalfassung mit Untertiteln gesendet werden.

8. Fremdsprachen sind mehr als Kommunikationsmittel, sie schaffen europäische Identität
Das Erlernen von Fremdsprachen soll für die Mehrheit der Bürger in erster Linie Kommunikation ermöglichen. Damit wird von vielen berechtigterweise eine praktische Sprachbeherrschung zur Bewältigung konkreter Alltagssituationen angestrebt, die nicht das Verständnis literarischer Texte zum Ziel hat.
Doch jede Beschäftigung mit Sprache verdeutlicht, dass Sprache mehr ist als Kommunikation. Anscheinend gleich klingende Wörter in den verschiedenen Sprachen haben oft unterschiedliche Inhalte. Mit Worten sind oft Wertaussagen verbunden, sodass ein direktes Übertragen Wort für Wort plump und entstellend wirkt. Der Umgang mit Sprache verlangt Respekt vor dem Wort.
Durch das Erlernen von Sprache wird auch Respekt vor dem Menschen geschaffen, der eine andere Sprache als die eigene spricht. Das Erlernen von Sprachen ist ein Prozess der Aneignung europäischer Kultur. Es verhindert das Ausgrenzen des vermeintlich Fremden und führt die Menschen zusammen. Es ist ein Schritt zur Schaffung einer europäischen Identität.