Die Europäische Integration weist den Weg aus der Krise

Beschluss des Bundeskongresses vom 06.12.2009 (PDF-Datei)


Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union befinden sich inmitten einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, einer der größten der jüngsten Vergangenheit. Hiergegen anzukämpfen wird einen beachtlichen Teil der finanziellen Ressourcen und der politischen Aufmerksamkeit Europas auf sich ziehen.

Der erste Reflex, in der Not nur auf das eigene Wohlergehen zu achten, konnte erfolgreich abgewehrt werden: Die EU geht in der Krise gemeinsam und abgestimmt vor. Anders als Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts haben wirtschaftliche Schwierigkeiten in Europa bisher nicht zu Protektionismus und politischen Spannungen bis hin zu Kriegen geführt, sondern die Intensität der Zusammenarbeit erhöht. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine große Leistung der EU und ihrer Führungspersönlichkeiten. Die EU hat sich erneut als Stabilitätsanker gerade in schweren Zeiten bewährt und damit die Legitimität der europäischen Integration neu begründet.

Dieser Teilerfolg darf aber nicht den Blick dafür verstellen, dass nationale Reflexe nach wie vor an der Tagesordnung sind. Angesichts der absehbaren sozialen Folgen der Wirtschaftskrise ist klar, dass Programme zur Wiederbelebung der Wirtschaft nur erfolgreich sein können, wenn die Beschäftigten angemessen beteiligt werden. Die Notwendigkeit einer effizienten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Betriebsräte ist unabweisbar. Dies wäre undenkbar ohne den von der EU geschaffenen Rahmen.

Sorge macht uns, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise wertvolle politische und finanzielle Ressourcen verschlingt, die für die letztlich viel größere Herausforderung der drohenden Klimakatastrophe benötigt werden. Niemand bestreitet heute mehr, dass diese Bedrohung nur durch ein europaweit und weltweit koordiniertes, konsequentes Umsteuern abgewendet werden kann. Aber wer kämpft wirklich konsequent für diese Politik? Die ehrgeizigen Vorgaben der EU für die Weltklimakonferenz beweisen, dass nur die EU den Rahmen dafür bietet, kurzfristige Interessen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens hinanzustellen.

Erfolg verspricht nur ein Politikansatz, der die Finanz- und Wirtschaftskrise gemeinsam mit der sozialen Dimension denkt und zugleich die Umstellung auf ein nachhaltiges, klimaneutrales Wirtschaften voranbringt. Und nur die Europäisch Union bietet den Rahmen dafür, diesen Weg gemeinsam und im Frieden zu beschreiten.



Gemeinsames Handeln gegen die Finanzkrise

Die internationale Finanzkrise, die von einer Immobilienkrise in den USA ausgelöst wurde, hat mit eindrücklicher Intensität gezeigt, in welchem Maße die Finanzmärkte globalisiert sind. Innerhalb kürzester Zeit wirkte sich die Krise auf die Finanzmärkte in der gesamten Welt aus und brachte auch die viele Finanzinstitute in Europa ins Wanken. Die Europäische Union reagierte darauf mit abgestimmten und für die verschiedenen Mitgliedstaaten maßgeschneiderten Rettungspaketen.

Diese Krise hat gezeigt, dass die globale Vernetzung systemische Risiken birgt, auf die nicht nur mit nationalen Maßnahmen reagiert werden kann. Deutlich wie selten zeigt sich hier, dass das Prinzip der Subsidiarität auch in Richtung einer stärkeren Vergemeinschaftung wirken kann: Die Regulierung und Aufsicht über die Finanzmärkte kann nicht national geregelt werden. Hier muss eine supranationale Antwort gegeben werden! Die Europäische Union muss entschlossen voran gehen und eine effiziente europäische Regulierung und Aufsicht installieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich eine derartige Krise nicht wiederholt.

Die Europäische Union hat bereits in anderen Bereichen erfolgreich auf die internationale Vernetzung und Globalisierung von Märkten reagiert. Beispiele wie die europäische Wettbewerbsaufsicht sowie die Regulierung von Telekommunikations- und Energiemärkten zeigen, dass die EU unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips effizient Wirtschaftsbereiche regulieren und beaufsichtigen kann.

Das europäische Wettbewerbsrecht ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise bedeutsamer denn je. Nur solange fusions- und vor allem beihilferechtliche Vorgaben der Gemeinschaft weiterhin ernst genommen werden, wird es gelingen, einen europaweiten Ordnungsrahmen und damit faire Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedstaaten zu erhalten.

Zwar hat die Europäische Kommission das EU-Beihilferecht Ende 2008 in Teilen gelockert, um den Herausforderungen der Krise gezielt Rechnung zu tragen. Durch klare rechtliche Vorgaben und eine transparente und nicht politisch motivierte Beihilfepolitik der EU konnten jedoch ein Subventionswettlauf der Mitgliedstaaten und vor allem nationale protektionistische Bestrebungen weitgehend verhindert werden.

Nun gilt es, den alten Rechtsrahmen mittelfristig wieder herzustellen und einen offenen Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten zu sichern. Gleichzeitig sollten Leistungen der Daseinsvorsorge, auch wenn sie dem europäischen Beihilfenrecht grundsätzlich unterfallen, von der Kommission unter einen erhöhten Schutz gestellt werden. Auf diese Weise könnte nach den umfangreichen Banken- und Unternehmensrettungen ein notwendiger sozialer Ausgleich gewährleistet werden. Regulatorische Erleichterungen in diesem Bereich wären daher besonders zu begrüßen.


Für eine soziale Neuausrichtung der Lissabon-Strategie

Die Wege, die Europa aus der Krise führen, verlaufen jedoch nicht nur entlang einer Re-Regulierung des Finanzmarktsektors. Auf die Krise der Banken folgte die der Wirtschaft. Und die Weltwirtschaftskrise verschärft nun die sozialen Probleme in Europa und der Welt. Die Europäische Union muss Antworten auch auf die soziale Krise finden, die aller Voraussicht nach das Jahr 2010 bestimmen wird. Die EU verfügt nun, nach langen Jahren der Verhandlungen, mit dem Lissabonner Vertrag endlich über das Regelwerk, das sie braucht, um handeln zu können. Der Lissabonner Vertrag stärkt auch die soziale Dimension Europas. Die EU wird nun auch im europäischen Primärrecht als soziale Marktwirtschaft anerkannt.

Den Worten müssen Taten folgen, gerade in der Krise. In diesem Sinne sollte die EU eine Post-Lissabon-Strategie entwickeln, die ein neues, nachhaltiges Wettbewerbsmodell befördert und damit das Europa des Jahres 2020 zu einem demokratischen, freiheitlichen, nachhaltigen und sozialen Europa macht, einem Europa der Balance und nicht mehr, wie in der ersten Lissabon-Dekade definiert, der Superlative.

Es wird sicher nicht möglich sein, kurzfristig im Rahmen des EU-Haushalts weitere Instrumente wie den Globalisierungsfonds zu schaffen, die dazu beitragen könnten, die sozialen Krisenfolgen zu mildern. Umso wichtiger erscheint es daher, dezentrale, aber europäisch koordinierte Lösungsansätze zu verfolgen.

Die Bundesregierung muss sich im Rat dafür einsetzen, dass die Mitgliedstaaten enger zusammenarbeiten, um Hilfs- und Rettungsmaßnahmen von Unternehmen und Unternehmensgruppen abzustimmen, die grenzübergreifend in mehr als einem EU-Staat tätig sind. Die betroffenen Staaten sollten gemeinsam mit der Europäischen Kommission und nicht im nationalen Alleingang über Hilfs- und Rettungsmaßnahmen beraten und im Einvernehmen Beschlüsse fassen, die dann der beihilferechtlichen Prüfung durch die Kommission standhalten und den sozialen Zusammenhalt in Europa nicht gefährden.
Sind Massenentlassungen nicht mehr zu verhindern, sollten die betroffenen Mitgliedstaaten gemeinsam beraten und einander darüber informieren, wie nach ihren jeweiligen nationalen Bestimmungen sozialpolitische Maßnahmen getroffen werden können. Nur durch dieses Zusammenwirken entsteht ein gemeinsamer Beitrag zur Stabilisierung des europäischen Arbeitsmarktes. Erfolgreiche Beispiele (best practice) sollten on der Europäischen Kommission EU-weit dargestellt werden.


Klimaschutz: Krisenfest durch neue Technologien


Klimapolitik ist im 21. Jahrhundert eines der strategisch wichtigsten Politikfelder. Denn es wird immer deutlicher, dass vom Klimawandel nicht nur unsere Ökosysteme betroffen sind, sondern auch unser Wirtschaftssystem. Als erstes und am härtesten werden die Entwicklungsländer unter den Folgen leiden. Die Industrieländer müssen ihrer historischen Klimaverantwortung gerecht werden und effektiven Klimaschutz verwirklichen. Schon deshalb muss die EU Vorreiter für Klimaschutz und nachhaltige Energiepolitik sein. Europa hat sich verpflichtet alles zu tun, dass die globale Erwärmung auf zwei Grad begrenzt wird. Dafür muss der CO2-Ausstoß der Welt halbiert werden. Für Europa heißt dies: 80 Prozent Reduktion bis 2050. Spätestens dann muss Europa einhundert Prozent der Energie erneuerbar bereitgestellt werden.

Dieses gewaltige Projekt ist nur gemeinsam, im Rahmen der EU zu verwirklichen. Das wird Kosten mit sich bringen. Aber die notwendige Umstellung auf ein klimaschützendes Wirtschaften birgt auch wirtschaftliche Chancen und zeigt damit neue Wege aus der Krise auf: Wer mit einer intelligenten Energie- und Klimapolitik voranschreitet, erschließt sie sich die Technologien der Zukunft. Der Binnenmarkt hat die notwendige Größe, die es lohnend macht, neue Technologien zu entwickeln und zu vermarkten. Aber die notwendige Umstellung auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energiereinsparung kann nur gemeinsam, und nicht im Wettbewerb unter den Mitgliedstaaten gelingen.


Starke und unabhängige Institutionen für die EU

Die Wirtschafts- und Finanzkrise stellt die europäischen Institutionen vor große Herausforderungen. Die hier aufgezeigten, notwendigen Schritte auf dem Weg aus der Krise erfordern entschlossenes und schnelles Handeln.
Obwohl die Verfahren in der unmittelbaren Krisensituation noch nicht angepassten waren, haben die europäischen Institutionen ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Der Vertrag von Lisabon als neue Grundlage des EU-Handelns bietet deutlich verbesserte Bedingungen für die weiteren Schritte, denn er stärkt das Europäische Parlament und die Gemeinschaftsakteure. Dieser neue Handlungsrahmen muss nun mit Leben erfüllt werden.
Die Auswahl der neuen Mitglieder der Kommission und die Vergabe der entsprechenden fachlichen Ressorts sollten sich daher strikt an Qualitäts- und Eignungskriterien orientieren. Für den Weg aus der Krise braucht die Europäische Union keine Kommissionsbesetzung nach Wunsch einzelner Personen oder Mitgliedsstaaten, sondern die bestmöglichen und handlungsstärksten Kommissionsmitglieder