Europa als Berufung - Wer gestaltet die erweiterte Europäische Union?

Tagung der Europa-Union Deutschland und der Robert Bosch Stiftung

Freitag, 26. November 2004

Jean-Monnet-Haus, Berlin

700 km liegen zwischen Berlin und Brüssel, doch das Zentrum der Europäischen Union schien am 26. November 2004 kurzzeitig in die deutsche Hauptstadt verlagert worden zu sein. Die Tagung zu der über 100 Teilnehmer aus Brüssel, Deutschland und Mittel- und Osteuropa anreisten, bildete den Auftakt für das gemeinsame Stipendienprogramm „In Europa für Europa“ des Theodor-Heuss-Kollegs der Robert Bosch Stiftung und der Europa-Union Deutschland.

 

Die Generation der Entscheidungsträger in der europäischen Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie junge Nachwuchskräfte, Studierende und ehrenamtlich Engagierte diskutierten die Frage, welche Kompetenzen Akteure in Europa mitbringen sollten, um die europäische Integration nachhaltig zu gestalten. Die unterschiedlichen Hintergründe der Teilnehmer waren eine große Bereicherung für die Debatte: Vertreten waren u.a. Lobbyorganisationen, Staatsministerien, das Auswärtigen Amt, europabezogene Studiengänge, wie das College of Europe in Brügge und Natolin sowie Vertreter zahlreicher Verbände und Nichtregierungsorganisationen (vor allem des Netzwerks Europäische Bewegung) aus dem In- und Ausland.

 

„Junge Köpfe von unten her fördern“

 

In seinen eröffnenden Worten betonte der Präsident der Europa-Union Deutschland, Elmar Brok, MdEP, dass die Frage der „Kompetenz, der Personalpolitik und vieles andere mehr in einer erweiterten Europäischen Union von zentraler Bedeutung ist.“ Am Beispiel der Ukraine machte er deutlich, wie wichtig „stärkere Bindungen, Verbindungen und Perspektiven“ auch über die östlichen Grenzen der Europäischen Union hinaus sind. Hier setzt die Partnerorganisation der Europa-Union Deutschland, die Robert Bosch Stiftung an und fördert in ihren Programmen bereits seit mehreren Jahrzehnten junge Menschen aus Mittel- und Osteuropa. Ein Leitprinzip der Stiftung bei ihrer Förderung ist es, so Markus Hipp, Leiter des Berliner Büros der Robert Bosch Stiftung, „sehr praxisnah von unten her junge Köpfe zu fördern und zu qualifizieren.“ Mit der Europa-Union Deutschland als Partner bestehe „eine Chance für unsere Stipendiaten von der Praxis auch in die reale Politik und in die Entscheidungsprozesse hineinzukommen.“

 

Die Diskussion mit Teilnehmern aus Mittel- und Osteuropa unterstrich, dass die Erweiterung und auch die neue Nachbarschaftspolitik der EU die europäische Personalpolitik in allen Bereichen vor neue Herausforderungen stellt.

 

Erweiterung bedeutet Herausforderung für die Personalpolitik

 

„Die Arbeit an und für Europa ist kein Job, um den man sich bewirbt neben anderen, sondern tatsächlich auch und vor allem Berufung“, verwies Herr Dr. von Kyaw, ehemaliger Ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU, in seinem Eingangskommentar. „Wir brauchen also gute Leute für Europa. Und dazu bedarf es theoretischer wie praktischer Kenntnisse und Erfahrungen als Voraussetzung.“

 

Schnell stellte sich in einer Podiumsdiskussion heraus, dass schöne Lebensläufe, die brilliante Studienabschlüsse und zielstrebiges Klettern auf der Karriereleiter aufweisen, den Führungskräften in der europäischen Praxis oft wenig nutzen. Offenheit für andere kulturelle Hintergründe, kommunikative Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft für die europäische Idee nehmen an Bedeutung zu. Diese und weitere soft skills sind für die Entscheidungs- und Handlungskompetenz der Mitarbeiter in den Institutionen der EU aber auch in politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in und außerhalb von Brüssel unentbehrlich. Sie müssten sich in den Auswahlkriterien für europäisches Personal niederschlagen. Dafür muss sich aber zunächst der politische Wille ändern, so Podiumsteilnehmer András Bakács vom Institut für Weltwirtschaft an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, und anschließend die Personalpolitik.

 

Eine Task Force von Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hatte bereits im Vorfeld der Tagung Thesen und Forderungen entwickelt, die stärkere Durchlässigkeit und die Möglichkeit des Austauschs beim Personal zwischen den Sektoren Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft forderte. Außerdem mangele es in nationalen Einrichtungen und Verwaltungen oft an einem Blick für die europäische Dimension – ein längerer Arbeitseinsatz in Brüssel kann sich für deutsche Verwaltungsbeamte manchmal zu einer Sackgasse in der beruflichen Laufbahn entwickeln.

 

Vernetzung und frühzeitige Förderung

 

Eine  Kernaussage aller Diskussionen im Plenum und den angebotenen Arbeitsgruppen war, dass junge Menschen schon früh in die Gestaltung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zukunft Europas eingebunden werden müssen. Zentral ist hier die Integration und verbesserte Vernetzung der heutigen mit der zukünftigen Generation der Entscheidungsträger. Zu den wichtigsten Anforderungen an junge Menschen gehören neben einer soliden Grundausbildung auch das „Erleben“ von Europa durch Praktika und Auslandsaufenthalte.

 

Die vielfältigen Angebote auf dem europäischen Arbeitsmarkt müssen transparenter und das eigene Bemühen der Bewerber stärker gefördert werden, denn die Anforderungen an die neue Generation von „Berufseuropäern“ nehmen zu. Die Komplexität der Strukturen und Organe der EU führt dazu, dass junge Menschen nicht mehr wissen, für welche Bereiche sie geeignet sind und wo sie bei ihrer Berufsplanung Unterstützung erhalten.

 

EU-Kommissar Figeľ

 

Ein Höhepunkt der Tagung war der erste öffentliche Auftritt des neuen EU-Kommissars für Bildung, Kultur und Sprachenvielfalt, Ján Figeľ, in Deutschland. In seiner Rede bekräftigte er die Bedeutung des Bildungsbereichs für die Entwicklung der europäischen Integration. „Europa braucht hochqualifizierte Menschen, die in der Lage sind, in einem einzigartigen multikulturellen Umfeld zu arbeiten.“ Europäische Laufbahnen sind laut Figeľ „mehr als die Arbeit in den europäischen Institutionen oder in deren unmittelbaren Umfeld“. Er betonte, dass Europa zunehmend zu einem natürlichen Bestandteil in vielen Bereichen der Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Kultur der Mitgliedsländer wird – hierauf muss durch entsprechende Bildungsangebote vorbereitet werden. Europas Position in der Welt wird langfristig auch vom Erfolg der Zusammenarbeit in der Bildungspolitik bestimmt sein, für die Herr Figeľ in der neuen Kommission verantwortlich ist. Mit seinen Abschlussworten versicherte er, dass alles getan wird, damit „die Menschen in die Lage versetzt werden, die Anforderungen und Möglichkeiten zu nutzen, mit denen sie sich heute auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie in der Freizeit in ihrer Heimat und weltweit konfrontiert sehen.“

Kurzprogramm der Tagung

Eröffnung:

Elmar Brok MdEP, Präsident der Europa-Union Deutschland

Markus Hipp, Leiter des Berliner Büros der Robert Bosch Stiftung

 

Thesen der Task Force „Europa als Berufung“:

Marcin Wόjcik, Bilanz- und Wirtschaftsprüfung, EU-Strukturfonds-Management, Wojewodschaft Małopolska / Absolvent des College of Europe in Natolin

Kommentar:

Dr. Dietrich von Kyaw, ehemaliger ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU

 

Podiumsdiskussion:

Welche Kompetenzen brauchen Nachwuchskräfte für europäische Laufbahnen?

András Bakács, Institut für Weltwirtschaft an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften / Absolvent des College of Europe in Natolin

Andris Gobiņš, Präsident der Europäischen Bewegung Lettland

Ursula Kalbfleisch-Kottsieper, Vizepräsidentin der Europa-Union, Ministerialdirigentin, Lehrbeauftragte an der Universität Jena

Matthias Schauer VLR, Auswärtiges Amt , Europaabteilung, Personalpolitik und Dienstrecht in der EU

Moderation : Christian Wenning, Bundesvorsitzender der Jungen Europäischen Föderalisten

 

Schlusswort:

Ján Figeľ, Mitglied der Europäischen Kommission, Kommissar für den Bereich Bildung, Kultur und Sprachenvielfalt

 

 

„In Europa für Europa“

Ein Kooperationsprogramm des Theodor-Heuss-Kollegs der Robert Bosch Stiftung und der Europa-Union Deutschland. Die Fortbildung wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung und der Europäischen Kommission/ CIFE gefördert.