22.06.07 Berlin: Rededuell zur Sprachenvielfalt in Europa: Kulturgut oder Luxus?
Die Protagonisten vlnr: Prof. Dr. Rudolf Fischer, Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes | Prof. Dr. Norbert Walter, Geschäftsleiter Deutsche Bank Research und Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe | Jochen Richter, Stellvertretender Kabinettschef bei Leonard Orban, Kommissar für Mehrsprachigkeit, Europäische Kommission | Moderator Andreas Ulrich [Radio Eins vom RBB]
Am Freitag, den 22. Juni, fand im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Berlin Mitte im Rahmen der Reihe „Speak up Europe | Menschen bilden Europa“ ein weiteres Rededuell statt. DR. RUDOLF-JOSEF FISCHER, Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes, JOCHEN RICHTER, Stellvertretender Kabinettschef bei Leonard Orban, Kommissar für Mehrsprachigkeit, Europäische Kommission und PROF. DR. NORBERT WALTER, Geschäftsleiter Deutsche Bank Research und Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe debattieren über mögliche Wege, wie sich Verständigung, Effizienz und Identität am besten erreichen lassen, ob durch den Status quo der Vielsprachigkeit oder die Einführung einer europäischen Verkehrssprache.
Die Veranstaltung „Sprachenvielfalt in Europa – Kulturgut oder Luxus?“ wurde von Peter Altmaier MdB, Präsident der Europa-Union Deutschland mit der These eröffnet, dass Sprachkompetenz vor allem auch soziale Kompetenz ausmache. Dabei wies er auch auf die 27 Regierungschefs beim parallel tagenden Europäischen Gipfel hin: „Die haben zwar Simultanübersetzer, ich bin aber trotzdem nicht sicher, ob sich immer alle verstehen“.
Vor Beginn des eigentlichen Duells wurde dem Publikum durch Moderator Andreas Ulrich [Radio Eins vom RBB] Gelegenheit gegeben, seine Meinung zum Thema kundtun. Im Ergebnis sprach sich zunächst eine Mehrheit dafür aus, dass die in der EU gängige Praxis, 23 Amtssprachen anzuerkennen und einzusetzen, beibehalten werden solle wie bisher. Etwas weniger Befürworter fand das Modell einer einheitlichen offizielle Verkehrssprache. Hier überraschte zunächst, dass sich die Fürsprecher einer gemeinsamen Verkehrssprache zu gleichen Anteilen für Englisch und Esperanto aussprachen.
In der ersten Runde des Duells hatten Jochen Richter, Prof. Dr. Norbert Walther und Dr. Rudolf-Josef Fischer jeweils zwei Minuten, die eigenen Argumente auf den Punkt zu bringen, um diese dann im weiteren Verlauf der Veranstaltung noch einmal näher zu diskutieren.
Jochen Richter verwies in seinen zwei Minuten darauf, dass die Mehrsprachigkeit Teil der Grundrechtecharta sei und Sprachenvielfalt in Europa ein bedeutendes und demnach schützenswertes Kulturgut darstelle. Die oftmals kritisierten Kosten des Brüsseler Übersetzungs- und Dolmetscherapparates betrügen pro Person lediglich 2,50 € im Jahr und seien daher kein wirkliches Argument.
Prof. Dr. Norbert Walter betonte in seinem Statement vor allem die Notwendigkeit, die Diskussion über Sprache und ihren Nutzen nicht nur auf Brüssel zu verengen. Weitere gesellschaftliche Bereiche, wie die Wissenschaft, die Finanzwelt und große Teile der Zivilgesellschaft hätten längst erkannt, dass Englisch die Sprache der nächsten zwei Generationen sei. Wer dies verkenne und nicht früh genug Englisch lernt, der würde sich dem heutigen Stand nach „die Zukunft vermasseln“. Sprachenvielfalt sei aber trotz der Dominanz der englischen Sprache in allen Bereichen des Lebens ein wichtiges Kulturgut, so Prof. Dr. Walter. Gerade auch wer Kunden in internationalen Märkten erreichen möchte, müsse kulturelle Konnotationen der Sprache verstehen können. Dies ändere nichts an der Tatsache, Englisch als Verkehrssprache zu nutzen.
Dr. Fischer erläuterte die Vorteile von Esperanto als internationale Verständigungssprache. Esperanto habe auch wirtschaftlich gesehen Vorteile, da es sehr leicht zu erlernen sei. Zudem fördere die Sprache das sprachliche Entgegenkommen aller Nationen untereinander und schütze gleichzeitig die Muttersprachen. Andere Sprachen können und sollten zudem zusätzlich erlernt werden. Der wichtigste Punkt für Herrn Dr. Fischer war jedoch die Eigenschaft Esperantos als möglichen Katalysator einer europaweiten Identität, als übergeordnete Brückensprache.
In der folgenden Diskussion versuchten die drei Duellanten entlang der vom Moderator gestellten Fragen ihre jeweiligen Positionen weiter zu verdeutlichen und argumentativ zu unterfüttern. Diskutiert wurde vom täglichen konkreten Prozedere in Brüssel, z.B. mit welcher Sprache man morgens am Kopierer fremde Kollegen anspräche, bis zur Rolle der Schulen in der frühkindlichen Spracherziehung. Es ging um die Kosten für Übersetzer, um „Vielsprachigkeit als Hemmschuh“ (Prof. Dr. Walter) und darum, welche Sprache für eine globalisierte Welt profitabler sei. Dr. Fischer warb vor allem für einen vorurteilsfreihen Umgang mit Esperanto. Die Sprache hätte zwar mit ihrer Unbekanntheit zu kämpfen, sei jedoch eine ideale Einführungssprache sei, um danach schneller andere Sprachen erlernen zu können. Er forderte mehr freiwilligen Sprachunterricht an Schulen und Universitäten. In Bezug auf die Einführung von Englisch als einer europäischen Verkehrssprache wurde konstatiert, dass das so genannte „Globisch“, ein weltweit verwendetes, reduziertes Englisch, der kulturellen Fülle der englischen Sprache sogar schade. Dennoch forderte Prof. Dr. Walter die faktische Dominanz des Englischen zu akzeptieren: „Wir müssen mit allen auf dem Globus in Englisch auf dem gleichen Level sein! Die Sprache soll uns international in eine bessere Position bringen“. Vor allem die Diskussion um das Gefühl für die jeweilige Sprache und die Angst vor Kulturverlust bestimmten den weiteren Gesprächsverlauf.
Auch das Publikum meldete sich zu Wort und diskutierte eifrig mit. Mehrere Zwischenrufe, spontaner Applaus und natürlich die Abstimmungen zeugten von einer emotionalen und hitzigen Debatte. Zum Schluss sollten die Duellanten ihre drei größten Wünsche für die Zukunft in einer Minute noch einmal auf den Punkt bringen. Herr Dr. Fischer wünschte sich, dass Esperanto in zehn Jahren auf freiwilliger Basis an Schulen und Universitäten angeboten werde, zudem solle man sich auch verstärkt für andere Sprachen jenseits der eigenen Grenzen interessieren, denn „andere Sprachen zu lernen ist wunderbar“. Herr Prof. Dr. Walter formulierte seine Wünsche folgendermaßen: „Lest Goethe, aber lest auch Mark Twain, damit ihr die Fülle der Sprache nicht vergesst“. Zudem wünsche er sich mehr Schüler- und Studierendenaustauch, denn nur so könne man andere Sprachen wirklich lernen und die dazugehörige Kultur verstehen. Herr Richter plädierte vor allem für einen Erhalt der Sprachenvielfalt und demnach eine funktionierende Mehrsprachigkeit. Reduzierung aus Effizienzgründen lehne er völlig ab. Ebenso unterstrich er die Wichtigkeit von verstärktem Austausch und vor allem der persönlichen Motivation.
Nach der das Duell beschließenden zweiten Abstimmungsrunde durch das Publikum verschob sich das Ergebnis in Richtung Englisch als Verkehrssprache, die Mehrheit plädierte jedoch weiterhin für das Fortführen der bisher gängigen Praxis der Maxime der Mehrsprachigkeit in Brüssel und der EU.