Nachdem für den dringend notwendigen Rechtsstaatsmechanismus die qualifizierte Mehrheit erreicht ist, haben sich nun Polen und Ungarn entschlossen, ihr Veto gegen den gesamten Haushaltsrahmen einzulegen. Dies erfüllt uns mit Sorge nach einer zeitgerechten Umsetzung. Die Finanzhilfen werden umgehend benötigt, um den in der Corona-Krise eingetretenen wirtschaftlichen Schaden zumindest teilweise auszugleichen! Sie dürfen nicht erst in einer sich anschließenden Aufschwungphase ausgezahlt werden. Die Regierungen von Polen und Ungarn tragen hierfür die Verantwortung. Darüber hinaus schaden sie ihren eigenen Völkern immens, die ebenfalls unter dem wirtschaftlichen Einbruch leiden. Auch die finanzielle Solidarität der EU hat den Aufbau Osteuropas nach der Wende erst möglich gemacht. Rechtsstaatlichkeit ist nicht nur ein unverhandelbarer Teil des europäischen Wertekanons, sie ist ebenso ein unschätzbarer Standortvorteil. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards schützt vor Willkür und schafft Vertrauen in die staatliche Ordnung. Zudem ist sie auch eine glaubhafte Garantie, dass Korruption oder die Veruntreuung öffentlicher Mittel geahndet werden.
Wir fordern die Regierungen von Polen und Ungarn auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben, damit die abschließenden Beschlüsse umgehend gefasst werden können. Die Mittel müssen zügig im Rahmen praktikabler, transparenter Verfahren abfließen können. Damit würde auch für alle Bürger gezeigt, dass die Europäische Union solidarisch und handlungsfähig in einer Krise ist.
Vor allem die Stützungsmaßnahmen im Rahmen von Next Generation EU sind maßgeblich nationalstaatlich orientiert. Für ein schnelles Bekämpfen des Wirtschaftseinbruches in allen Mitgliedsstaaten erscheint dies zielgerichtet.
Jedoch sollten grundsätzlich, und dann insbesondere mit den Mitteln des mehrjährigen Finanzrahmens, Projekte mit europäischer Ausrichtung gefördert werden. Grenzüberschreitende Zukunftsprojekte, von denen die Bürger in allen Mitgliedsstaaten profitieren. Mit denen die Klimaziele erreicht werden. Verbesserungen in der Wirtschaftsstruktur, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dies ist erforderlich, um ein Auseinanderdriften der Mitgliedsstaaten zu verhindern. Nur gemeinsam kann Europa in einer globalisierten Welt bestehen, den immer intensiver werdenden Herausforderungen von unilateral agierenden Großmächten in Ost und West begegnen. Sonst droht ein immenser Wohlstands- und Freiheitsverlust für alle Bürger.
Neben der strukturellen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in allen Volkswirtschaften der Europäischen Union sollten Projekte mit transnationalen Vorteilen in diesen Bereichen im Vordergrund stehen:
- Klimaschonende effiziente Verbund-Nutzung von Energie („Energie-Union“)
- Schaffen eines harmonisierten Hochleistungs-Bahnnetzes für den Personen- und Güterverkehr
- Aufbau einer gleichwertigen europäischen Dateninfrastruktur mit einheitlichen Standards („Digitaler Binnenmarkt“)
- Schutz vor Cyberkriminalität einschließlich Ausspähungen
- Bekämpfung von Korruption sowie grenzüberschreitender Verbrechensstrukturen in Wirtschaft, Verwaltung und anderen gesellschaftlichen Bereichen
- Auf- und Ausbau europäischer Exzellenz-Forschungsinstitutionen und Ausbildungsstätten – Innovationsführerschaft anstreben
- Europäische Kapazitäten für Krisensituationen im Gesundheitswesen und bei Katastrophen mit flexiblen Notfalleinrichtungen
- Harmonisieren der Bestimmungen für Arznei- und Lebensmittelsicherheit
- Verhinderung von Terrorakten
Daneben regen wir Anreizsysteme zur strukturellen Verbesserung der Wirtschaftsbedingungen in den Mitgliedsstaaten an. Wir brauchen zukunftsweisende Ideen und schlanke Strukturen! Dabei muss das Prinzip der Subsidiarität stärker beachtet werden.
Die Antrags-, Bewilligungs- und Kontrollverfahren werden derzeit als zu kompliziert und überbürokratisch empfunden. Sie verhindern teilweise das Ausschöpfen bereitstehender Mittel und behindern das Erreichen der angestrebten Ziele. Auch erfahrene Praktiker beklagen die kaum mehr zu überblickende Vielzahl von Richtlinien und Leitfäden, die zudem laufend geändert werden.
Wir fordern eine bessere Effizienz und Effektivität der Verwaltungs- und Abwicklungsstrukturen sowohl auf Ebene der Union als auch der Mitgliedsstaaten! Wir brauchen klare, einfache Vergaberegeln und Zuständigkeiten!
Eine „Hochrangige Gruppe“ hat im Juli 2017 konkrete Vorschläge zum Zugang und zur Verwendung von EU-Mitteln gemacht. Zuvor schon hatte die Europäische Kommission ein Reflektionspapier mit Reformansätzen veröffentlicht. Ein „Handbuch zu Vereinfachungsmaßnahmen“ mit 80 Vorschlägen zur Kohäsionspolitik 2021 bis 2027 liegt vor.
Weitere Verzögerungen darf es nicht geben. Die Bürger Europas warten – auf Hilfen zur Krisenbewältigung und ihnen nutzende Zukunftsprojekte, nicht auf mehr Bürokratie!
Stellungnahme der AG Europäische Wirtschaftspolitik vom 17.11.2020