In einem interessanten Vortrag und während der anschließenden Diskussion brachte der aus Berlin angereiste Botschafter den rund 190 zumeist jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sein nordisches Heimatland näher. Zwar hat Island mit knapp 320.000 Staatsbürgern nicht wesentlich mehr Einwohner als eine durchschnittliche deutsche Großstadt. Im Bereich der Fischerei ist das Land aber eine echte Großmacht.
Die europäische Fischereipolitik gilt denn auch als eines der wichtigsten Hindernisse für einen EU-Beitritt Islands. Zehn Prozent der Isländer sind im Fischereisektor beschäftigt. Wirtschaftlich verliert dieser Bereich zwar neben dem wachsenden Dienstleistungssektor zunehmend an Bedeutung. Wesentlich seien aber nach wie vor die mit der Fischerei verbundenen Traditionen, so der Botschafter: „Dieser Bereich ist sehr wichtig für unsere Kultur.“
Das gilt auch für den Walfang, den Island nach einem langen Moratorium seit 2006 trotz starker Proteste wieder industriell betreibt. „Isländer betrachten Wale ohne Sentimentalität, für uns sind sie Tiere wie alle anderen“, erklärte der Botschafter. Aber auch dieses Problem könne gelöst werden: „wenn alles andere geklärt ist, wird der Beitritt nicht am Walfang scheitern“.
Denn die gleichberechtigte EU-Mitgliedschaft sei von großer Bedeutung für die Isländer. „Wir wollen bei wichtigen Entscheidungen endlich mitreden“, sagte Gunnarsson. Schließlich sei sein Land sogar Mitglied des Schengenraums – und damit „in mancher Hinsicht besser integriert als einige EU-Mitglieder“.
Über 70 Prozent des Gemeinschaftsrechts habe Island bereits übernommen – und Wort für Wort ins Isländische übersetzt. Denn die Isländer wachen sehr über die Reinhaltung ihrer Sprache und ersetzen Fremdwörter grundsätzlich durch Wortneuschöpfungen. Seit 1964 besteht ein eigenes Komitee, das für neumodische Begriffe rein isländische Ausdrücke findet. Angesichts der umfangreichen Gesetzgebung aus Brüssel eine wahre Mammutaufgabe.
Für Probleme im Hinblick auf den Beitritt sorgen auch die abgekühlten Beziehungen zu den Niederlanden und Großbritannien. Anfang 2010 legte der isländische Präsident Ólafur Ragnar Grímsson sein Veto gegen das Gesetz über die Rückzahlung von fast 4 Milliarden Euro wegen des Konkurses der Icesave-Bank ein und wurde wenig später von den Isländern unterstützt: in einer Volksabstimmung sprachen sie sich mit überwältigender Mehrheit dagegen aus, die britischen und niederländischen Sparer zu entschädigen.
Diese Entscheidung beeinträchtigte die Beziehungen zu den zwei wichtigsten Handelspartnern sehr. Großbritannien erklärte das kleine Land im Norden gar zum „terroristischen Staat“ – ein Schritt, den Botschafter Gunnarsson im Plenarsaal des Landeshauses als „unglücklich“ bezeichnet.
Der Botschafter hielt sich an den Titel der Veranstaltung und zeigte neben allen Hindernissen auch die Chancen des isländischen EU-Beitritts auf. Denn nicht nur in der Bildungspolitik könne Europa viel von Island lernen: Während man in Brüssel noch darum streitet, bis 2020 immerhin 20 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, versorge sich die vulkanische Insel schon heute fast ausschließlich mit regenerativer Energie.
Auch die Beschäftigungspolitik ist vorbildlich: Die isländische Arbeitslosigkeit betrug Ende 2010 ´rund sechs Prozent. Was für andere EU-Staaten bereits ein Grund zum Feiern wäre, ist für Island ein durch die Krise bedingter historischer Höchststand: Traditionell befand sich das kleine Land mit einer Arbeitslosigkeit von maximal einem Prozent stets dicht an der Vollbeschäftigung.
Der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit sei ein großes Problem, das man bald wieder in den Griff bekommen wolle, so der Botschafter. „Aber wir nehmen die Krise gelassen. Meckern entspricht nicht unserem Charakter.“ Wohl deshalb sind die Isländer die „zufriedensten Menschen der Welt“ – und vielleicht kann Europa auch in dieser Hinsicht viel von seinen nördlichsten Nachbarn lernen.