Rückblick: Europas Außenpolitik – strategisch autonom, oder strategisch abhängig?

Am 15. Oktober 2020 veranstalteten Europa-Professionell, die Europa-Union Berlin und die Junge DGAP in der Reihe "Europa, wir müssen reden!" einen Online-Dialog über aktuelle und zukünftige Herausforderung der Europäischen Außenpolitik. Podiumsgäste waren Sarah Bressan vom Global Public Policy Institute und Sven Morgen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Panelisten beim Online-Dialog mit Moderator Yann Wernert.

Rund um Europa ist es unruhig, fast monatlich kommt ein neuer Brandherd hinzu, zuletzt ein Krieg im Südkaukasus. Dabei gehen die Bürgerkriege in Mali, Libyen und Syrien weiter, der Nahe Osten lodert wie seit vielen Jahrzehnten. Der alte Hegemon, die USA, schwächelt und liefert sich einen Handelsstreit mit dem Aufsteiger China,  der wiederum auch zahlreiche Konflikte an seinen Grenzen anheizt. Wo bleibt dabei die Europäische Union, was kann sie, was soll sie bewirken? Und warum sprechen alle plötzlich über „strategische Autonomie“? Das war der Anlass für diesen Bürgerdialog, den wir mit zwei Experten auf diesem Gebiet führen konnten:

  • Sarah Bressan vom Global Public Policy Institute (GPPi)
  • Sven Morgen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Jungen DGAP

Schnell wurde klar, dass strategische Autonomie eine Umschreibung für Handlungsfreiheit im außenpolitischen Raum sein soll. Warum die Europäische Union derzeit nicht strategisch autonom ist, erklärt sich durch zahlreiche Faktoren. Sicherheits- und militärpolitisch ist sie von den USA abhängig und damit nicht alleine handlungsfähig. Neuere Initiativen wie die permanente strukturierte Kooperation (PESCO) gehen nicht weit genug, eine europäische Armee bleibt wohl auf absehbare Zeit Wunschdenken. Vor allem aber betonten beide Experten eindringlich: die EU hat zwar einige Dokumente zu Strategien entwickelt, verfolgt diese Ansätze aber nicht in kohärenter Art und Weise. Es fehlen Strukturen wie ein europäischer Sicherheitsrat und der Wille, auch unangenehme Themen anzugehen. Das derzeitige Vorgehen erinnert mehr an das Aufzählen vieler Einzelinteressen der Mitgliedsländer, ohne ein stimmiges Ganzes zu ergeben. Das muss sich ändern, bevor die EU strategische Autonomie erreichen kann und Ursula von der Leyens Bestreben, eine „geopolitische Kommission“ zu führen, auch Realität wird. Die Positionen der Mitgliedsländer sind derzeit zu unterschiedlich, um den Einfluss in der Welt auszuüben, der die Europäische Union aufgrund ihres wirtschaftlichen und politischen Gewichts eigentlich ausüben sollte.

Strategische Autonomie erschöpft sich aber nicht in Sicherheitspolitik. Bei der Klima- und Umweltpolitik zeigt die EU vielleicht am meisten Autonomie und setzt Standards, indem sie Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen will – unabhängig davon, wie viel oder wie wenig andere Staaten sich ebenso darum bemühen werden. In puncto Digitalisierung hingegen bleibt noch viel zu tun, hier ist die EU viel zu sehr auf externe Innovationen angewiesen und könnte den Anschluss verlieren, wenn nicht entgegengesteuert wird.

Der Abend ging angesichts der vielen Themen und Fragen aus dem Publikum rasch vorbei. Das digitale Format hatte dabei auch den Vorteil, dass Interessierte aus allen Ecken Deutschlands und auch aus Italien und Österreich die Diskussion mitgestalten konnten.

Text: Yann Wernert, Vorstandsmitglied Europa-Professionell