Veranstaltungsbericht: 17. Europäischer Abend - Europas Demokratie in Gefahr?

Die europäische Wirtschaftskrise beherrscht die Schlagzeilen. Ein Krisengipfel jagt den nächsten. Rettungsschirme werden in beeindruckender Geschwindigkeit aufgespannt, völkerrechtliche Verträge mit weitreichenden Eingriffen in die Politiken der Länder unterzeichnet. Doch wo können die europäischen Bürgerinnen und Bürger sich einbringen, wie können sie die Entscheidungen auf europäischer Ebene beeinflussen? Kurz: Wie ist es um die Demokratie in Europa bestellt? Der dbb, die Europa-Union Deutschland und die Vertretung der Europäischen Kommission hatten am 21. März in das dbb forum berlin geladen, um diese Fragen zu diskutieren. Thema des 17. Europäischen Abends mit über 300 europainteressierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern: „Macht oder Ohnmacht: Europas Demokratie in der Krise?“

Europas Demokratie in der Krise? (Foto: Andrew Skinner - Fotolia.com)

Der dbb Bundesvorsitzende Peter Heesen wies in seiner Begrüßung auf die große Bedeutung hin, die die demokratischen Weichenstellungen in Europa für jeden Einzelnen haben. „Die Frage nach der Zukunft Europas ist eine Frage nach der Zukunft der Lebensverhältnisse der Menschen, die in diesem Europa leben.“ Es sei nicht genug, nur darauf zu schauen, welche kurzfristigen Entscheidungen als Reaktion auf die Krise gefällt würden. Auch die langfristigen Auswirkungen müssten genau geprüft werden. Es könne nicht um den schnellen Erfolg gehen, sondern die gemeinsame Vorstellung von Europa müsse im Mittelpunkt stehen. Dabei dürfe man sich auch nicht scheuen, Visionen von einem gemeinsamen Europa zu entwickeln. Der von Altbundeskanzler Helmut Schmidt überlieferte Ausspruch ‚Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen‘, habe zumindest für Europa keine Gültigkeit.

Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bezog sich auf den Ausspruch des Altkanzlers und legte in ihrer Rede dar, dass Europa in einer Zeit starker wirtschaftlicher Verwerfungen eben dieser Visionen dringend bedürfe. Die bisherigen vertraglichen Grundlagen seien noch nicht ausreichend. „Der Vertrag von Lissabon ist nur ein Schritt auf dem Weg der Demokratisierung der Europäischen Union, nicht der Abschluss der demokratischen Legitimierung“, so die Ministerin. In der Diskussion über die demokratische Verfasstheit der europäischen Institutionen ginge es viel zu häufig um Begrifflichkeiten und viel zu selten um konkrete Vorschläge. Diese müssten vor allem auf europäischer Ebene gemacht werden, denn „mehr demokratische Legitimierung in Europa kann nicht aus den nationalen Parlamenten kommen.“ Leutheusser-Schnarrenberger sah die Verantwortung vielmehr in Europa selbst. „Wir müssen zur Integrationspolitik innerhalb der europäischen Institutionen zurückkehren.“ Es müsse zudem versucht werden, die teils unversöhnlichen Vorstellungen von europäischer Demokratie zusammenzubringen.

Wie dies gelingen könnte, diskutierte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anschließend unter der Moderation von Professor Eckart Stratenschulte mit der Europaabgeordneten Franziska Brantner, dem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und Präsidenten der Europa-Union Deutschland, Rainer Wieland, der Leiterin des European Council on Foreign Relations, Ulrike Guérot, und Mirko Schwärzel vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement. „Europäische Demokratie sollte nicht anders sein als es die nationale ist“, zeigte sich Ulrike Guérot überzeugt. Zustimmung fand sie unter anderem bei Rainer Wieland, der für Europa die „Kunst des Möglichen“ einforderte „Es darf jetzt keine europäischen Übersprungshandlungen geben.“ Was auf nationaler Ebene nicht funktioniere, dürfe nicht blind für Europa gefordert werden. Trotzdem sollte sich auch das Europäische Parlament trauen, seine eigene Vision von einem demokratischeren Europa zu formulieren, forderte Franziska Brantner. Dazu müsse es mehr Offenheit geben. „Europas Demokratie kann nie in nur einem Modell gedacht werden“, so die Europaparlamentarierin. Auf europäischer Ebene könnte noch viel erreicht werden, ergänzte Mirko Schwärzel, denn „Demokratie ist das lernfähigste Regierungssystem, das wir kennen.“ EUD-Präsident Wieland stellte heraus, dass es auch ein Darstellungs- und Vermittlungsproblem europäischer Demokratie gebe und forderte mehr Einsatz, um die EU den Bürgern näher zu bringen.

Welcher Weg zu mehr demokratischer Legitimation in Europa beschritten werden solle, darüber wurde kontrovers diskutiert, doch einig waren sich die Diskutanten, dass die europäischen Institutionen ebenso gestärkt werden müssten, wie die Beteiligungsmöglichkeiten der europäischen Bürgerinnen und Bürger, auch über die Europäische Bürgerinitiative hinaus. Dieses neue Instrument der Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene sei eine „Weltneuheit“, so Sylvia-Yvonne Kaufmann, Landesvorsitzende der Europa-Union Berlin, in ihrem Schlusswort. Doch dürfe dies nicht der Schlusspunkt der Demokratisierung der Europäischen Union sein. „Mehr Demokratie in und für Europa ist nötig.“

von Thomas Bemmann, dbb