(De-) Zentralisierung der Energieversorgung: Deutsche und europäische Perspektiven

Bis 2050 muss Europa den CO2-Ausstoß deutlich senken, darüber sind sich alle einig. Doch während man in Brüssel wieder verstärkt auf Kernenergie setzen will, um dieses Ziel zu erreichen, bevorzugt man in Deutschland die dezentrale Versorgung durch erneuerbare Energieträger. Die Dezentralisierung spielt sich gleichzeitig auf vielen anderen Ebenen ab - und stellt Politik, Wirtschaft und Energieversorger vor ganz neue Herausforderungen.

Das wurde auf dem 5. Energieforum deutlich, zu dem die Europa-Union Schleswig-Holstein und das Europe Direct Kiel in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Kiel eingeladen hatten.

Dr. Jörn Krautwurst, Initiator des Energieforums, machte anhand von aktuellen Zahlen deutlich, wie vielschichtig die Dezentralisierung ist – und wieso das sperrige Wort im Zusammenhang mit dem Klimawandel überhaupt relevant ist. Klar wurde: Die Dezentralisierung spielt nicht nur bei der Energieerzeugung sondern auch beim Stromverbrauch, bei den Investitionen und auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle.

Anschließend ergriff erneut Uwe Döring das Wort – der Landesvorsitzende sprang für den kurzfristig erkrankten Peter Faross, stellvertretender Generaldirektor der EU-Kommission für Kernenergie, ein und gab einen Überblick über die Leitlinien europäischer Energiepolitik bis 2050. Diese sehen einen "CO2-armen Strommix" vor – ein Ziel, dass Europa aus Sicht der EU-Beamten auf zwei Wegen erreichen kann: entweder durch die (dezentrale) Umstellung auf Erneuerbare Energien oder durch eine Rückbesinnung auf die Kernenergie. Die Abschaltung von Atomkraftwerken stelle insofern einen deutschen Sonderweg dar, der in Brüssel nicht nur positiv gesehen werde. Denn die Kernenergie sei nicht nur billiger sondern auch technisch einfacher umzusetzen als erneuerbare Energieträger.

Dr. Klaus Rave sah dies als Chairman des Global Wind Energy Council anders. Nicht erst seit Fukushima wisse man, wie gefährlich die Nutzung der Kernenergie sei. Die mangelnde Akzeptanz dieser Form der Energieerzeugung in der Bevölkerung sei ebenso wie das ungelöste Problem der Endlagerung Grund genug, so bald wie möglich auf erneuerbare Energieträger umzustellen.

Michael Wübbels vom Verband kommunaler Unternehmen beurteilte das Konzept, mit dem die Bundesregierung die europäischen Energieziele bis 2050 umsetzen will, daher positiv. Wenn die Energieversorgung zu 80 Prozent durch erneuerbare Energieträger erbracht werde, müssten die Energiemärkte nicht nur dezentraler sondern auch smarter, wettbewerbsfähiger und damit mittelständischer werden. Um dies umsetzen zu können, müssten die kommunalen Strukturen aber gestärkt werden.

Auch Stefan Grützmacher, Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Kiel, war überzeugt: dezentrale Energieversorgung wird sich durchsetzen – dabei spielt auch der Kunde selbst eine immer wichtigere Rolle. Mittelfristig würden die Preise für regenerative Energien das Niveau der „fossilen” Energieerzeugung sogar unterschreitenm, prophezeite der Experte. Der Paradigmenwechsel in der Politik biete den kommunalen Energieversorger große Chancen: Die Nähe zu den Menschen und die regionale Ausrichtung seien ein starkes Alleinstellungsmerkmal um neue Geschäftsfelder zu erschließen.